Zaragoza

Zaragoza – Aufwachen im Untergrund

Jeder Mensch braucht Menschen – so auch ich.

Bei mir sind es oft IT-Menschen, solche, die dem Konsum misstrauen. Einer von ihnen ist Pierre. Vertrauensvoll, ja – aber manchmal auch eine kleine Rätschtante. Er erzählt Dinge weiter, die ich lieber für mich behalten hätte. Manchmal denke ich, er ist mein Sprachrohr. Das, was ich nicht aussprechen will, sagt er laut.

Nach meinem Vortrag über das Nichts kam die Veranstalterin auf mich zu. Ehrlich gesagt, über das Programm hatte ich mir, wie so oft, keine grossen Gedanken gemacht. Vielleicht kam so auch die Einladung – oder der Marschbefehl – nach Zaragoza zustande. Ich bin dankbar dafür.

Gestern Abend sass ich mit Chuana, meiner Gastgeberin, beim Essen. Wir tranken eine Flasche Wein, sie brachte mich danach in dieses wunderbare Haus.

Und heute Morgen wachte ich auf – allein, nicht alleine.

Alleine aufwachen ist nicht mein Ding.

Mit dem Kaffee in der Hand blickte ich über Zaragoza, las in der NZZ – und irgendwie schien mir der Artikel eine Vorausschau auf das, was noch kommen sollte.

Er beschrieb den Gang im Badrutt’s Palace in St. Moritz, einen Korridor wie ein Kirchenschiff, wo sich altes und neues Geld begegnen. Ein Ort, an dem sich die Gesellschaft selbst inszeniert – wie in einem endlosen Spiegel, der Glanz und Bedeutung vortäuscht. Ich dachte: vielleicht sind auch Städte so gebaut – mit sichtbaren Fassaden und verborgenen Gängen, mit Geschichten, die nur wenige kennen.

Das Haus liegt am Hang, verbunden mit dem Berg durch einen Aufzug. Vielleicht deshalb erinnerte mich der Text so stark daran.

Chuana gab mir einen Stoss – und ich wusste, das war der Marschbefehl.

Decke weg, ab in den Lift.

Sie zeigte mir den Weg – sonst hätte ich ihn nie gefunden.

Meine GPX-Daten sind reine Mathematik, weiter nichts.

Wo sich der Weg im Berg wirklich befindet, wissen vermutlich nur die Götter.

Oder ein geheimer Plan.

Man sagt, unter der Burg gebe es Gänge, gross wie Kirchenschiffe – Hallen, in denen die Luft stillsteht und das Licht sich verliert. Niemand weiss genau, wo sie beginnen oder enden.

Einige behaupten, sie seien einst gebaut worden, um Herrscher und Händler unbeobachtet miteinander zu verbinden; andere, sie seien Überreste einer maurischen Stadt unter der Stadt.

Ich folgte Chuana durch einen schmalen Gang, der sich wie eine Spirale nach unten drehte.

Das Echo unserer Schritte hallte an den Wänden, als trüge der Stein eine Erinnerung, die er nicht preisgeben wollte.

Unten öffneten sich Räume – gewölbt, kunstvoll, von einer Grösse, die kaum zu glauben war.

Kein Luxus, kein Gold, nur die Stille der Jahrhunderte.

Hier unten, dachte ich, liegt Zaragozas wahrer Catwalk – nicht aus Teppichen und Tapeten, sondern aus Schatten und Geschichten.

Vielleicht treffen sich auch hier Welten: das alte und das neue, das Sichtbare und das Verborgene.

Doch niemand weiss es wirklich.

Nur der Berg – und vielleicht ein geheimer Plan.

Alfred Hitchcock sagte einmal, dass Architektur Geschichten erzählt, bevor ein Mensch sie betritt.

Was mich nach dem Aufstehen erwartete, wusste ich damals noch nicht.

Jetzt weiss ich:

Die Stadt ist durchlöchert – wie ein Berg, voller Gänge, Verbindungen, Geschichten.

Ich bin noch im Untergrund.

Und ich staune.