Bormes-les-Mimosas

Intro-Musik: minimalistisch, tastend, wie ein erster Blick auf ein bekanntes Gesicht

[Ben] Ich wachte auf. Mein Arm tastete zur Seite – leer. Ich wusste, du warst nicht da. Aber mein Körper glaubte noch an dich.

Die Küche war still. Der Kaffee bitter. Ich nahm die Tasse, setzte mich auf die Veranda. Draußen das Meer. Wasser gegen Felsen. Kein Drama. Nur Rhythmus.

Und da waren sie noch: die Bilder. Eingeschweißt in Folien, aufgehängt an den Giebeln der Veranda. Sie bewegten sich im Wind. Manchmal sachte. Manchmal wild. Sie waren keine Erinnerung. Sie waren jetzt.

Ich sah sie an. Und ich sah dich. In der Bewegung. Im Licht.

[Sylvia] Du glaubst, es sind nur Bilder. Aber sie leben, weil du sie anschaust. Weil du in ihnen etwas suchst, was du vermisst – vielleicht mich.

Du sprichst von Kunst. Aber was du meinst, ist Sehnsucht.

[Ben] Ich sehe das Gefühl von damals. Nicht als Vergangenheit. Sondern als Möglichkeit. Wir lebten uns. Wir sahen uns. Nicht rückwärts. Nach vorn.

Ich weiß, hier zu sitzen und mich zu betrinken – das wäre leicht. Aber es hält mich nicht. Ich will zurück ins Leben. Leben. Lieben. Noch einmal leben. Nicht mit Beileidsgästen. Nicht mit Ersatzgefühlen.

Ich will fühlen, dass ich lebe. Und lieben kann. Noch. Deinen Namen… vergesse ich nie.

Ich weiß es. Ich muss es nicht auswendig lernen. Ich bin Ben. Ben, der Schweizer. Vielleicht ist der Satz kopiert – verzeiht mir, wenn ihr mögt. Und wenn nicht – ist es auch okay. James Bond sagt schließlich auch: „Mein Name ist Bond. James Bond.“ Vielleicht hat er es erfunden. Oder einfach nur berühmt gemacht.

Es war auch niemand da – in meinem Leid, in meinem Abschiednehmen. Aber ich bin okay. Deshalb akzeptiere ich nur noch Menschen, die etwas beitragen – am Leben. An meinem Leben.

Es ist heiß. Ich werde in die Stadt fahren. Meinen Anzug anziehen. Ins Museum gehen. Mich auf die Bank setzen. Mein Leid pflegen. Warten, bis es sich verflüchtigt – und Platz lässt für etwas Neues.

[Outro-Musik: sanft, ein Flackern wie Licht auf Wasser]

Im Kassenhäuschen sitzt sie, wie immer. Eine Frau, sicher über achtzig. Sie sitzt aufrecht, reglos wie eine Statue. Auf ihren Knien, halb versteckt unter einem karierten Tuch, liegt ein Katalog für Reizwäsche. Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, blättert sie leise darin. Sie gehört hierher. Nickt mir zu, lässt mich rein. Sie kennt mich. Und sie kannte dich. Wir waren gern gesehene Gäste – du, mit deiner Art, deiner Laune, wie du Menschen angesprochen hast.

Keine Party ist je ausgebrochen. Nur Stille, die nicht weh tut. So setze ich mich hin – wie eine gelangweilte Leberwurst, vom Leben und Glück verlassen. So sah ich vermutlich aus. Und deshalb… hat mich auch niemand beachtet. Denn in der Psychologie heißt es: Der Mensch empfängt, was du aussendest. Und ich… sandte nur Müdigkeit.

Vielleicht war das Kassenhäuschen nur ein Fantasieeintritt ins normale Leben. Ein Übergang. Und das Museum – ein Bild vom Leben selbst.

Also warf ich mich ins Auto. Fuhr zu meinem Schneider. Der hat sicher ein paar Klamotten für mich – für die Reise.

Ich trat in seinen Laden. Er rümpfte die Nase: „Du stinkst.“ „Komm hoch, dusch dich mal. Dann schauen wir weiter.“

Nach der Dusche stand ich herum, tropfnass. Leon, der Schneider, kam mit einer Auswahl. Und siehe da – sie passten.

Aber Scheibe, ich wollte mich nicht lange mit ihm austauschen. Über Leon. Über irgendwas. Ich verabschiedete mich. Ging. Nahm die Einfahrt zur Autobahn.

Die Fahrt durch Basel, vorbei an Bern – so viele Erinnerungen kleben daran. An Düdingen denke ich – an meinen Ausbilder im Militär, der immer sagte: „Ich wäre jetzt lieber auf der Bank am Düdinger Moosli.“ So bleiben Menschen im Kopf – mit einem Satz, mit einem Ort.

Dann Genf, bei den Hallen des Autosalons – Erinnerungen an Geschwindigkeit, Glanz, Aufbruch. Und dann weiter: die Route Napoléon hinunter. Durch Sisteron, in Richtung Süden.

Stets ist der eine Satz im Kopf geblieben – damals, als wir gemeinsam an die Küste fuhren. Draußen, in der Schweiz, war es kalt. Und alle 20 Kilometer jubelten wir: „Ein Grad mehr!“ Bis der Zeiger bei 25 Grad stehen blieb. Es war ein Genuss. Und jetzt – dieselbe Strecke. Die gleiche Richtung. Aber ich fahre allein. Mit Erinnerungen als einzigem Gepäck.

Nach Bormes-les-Mimosas – der Ort, wo die Mimosen blühen. Ich weiß, ich bin ein Sinnenmensch. Aber was soll’s – ich lebe. Und ich fahre dorthin. Nach Mimosas. Dorthin, wo man meine Sprache spricht. Und ich vielleicht wieder sprechen kann.

Jede Geschichte lässt sich weitererzählen – auch diese hier. Aber ich mache einen Schnitt. Setze erst mal bei der Ankunft im Hotel ein.

Dieses Hotel hat eine Geschichte. Es war mal ein Krankenhaus in den Weltkriegen, dann lange geschlossen, schließlich renoviert. Ich mag dieses Flair. Und ich bin auch ein bisschen verliebt – in diesen Ort.

Marseille ist nicht weit. Dort kommt mein Großvater her. Alles hier ist Geschichte. Meine Geschichte. Und das ist schön so.

Ich trat an die Rezeption. „Bonjour Monsieur“, wurde ich begrüßt – meine Seele bekam eine Streicheleinheit. Ich antwortete: „Bonjour Monsieur. Mon nom, c’est Ben.“

Ich bekam meine Schlüsselkarte, drehte mich um – und wie ein Blitzeinschlag sah ich sie. Was soll ich erzählen? Die Zeit blieb stehen. Atmen konnte ich nicht mehr. Es war ganz einfach geschehen. So kurz dieser Blitzeinschlag – so schnell war es wieder vorbei.

Ich schüttelte den Kopf, ging dann hoch. Und da kam mir dieses blöde Lied in den Sinn: „Wer ist sie?“ – der Refrain. Ungebeten. Wie ein Echo, das sich nicht abschütteln lässt. „Sie ist weg,
sie ist weg,
sie hat mich mitgenommen,
ich bin allein hier…“  🎶 „Sie ist weg“ (1995) – Die Fantastischen Vier

Ich hielt es nicht lange im Zimmer aus. Musste raus. Ging zu meiner Kurve – dort, wo man beobachten kann, wer hinaufjagt mit dem Velo oder was für ein Fahrzeug auch immer.

Dann die Gasse hinunter. Ich schaute mir den Schmuck in den Schaufenstern an.

Und wer jetzt sagt: „In einem Dorf an der Küste?“ – dem sage ich unverhohlen ins Gesicht: Wenn du hier ein Schmuckstück kaufst, kennt das kein Mensch in deinem Freundeskreis. Aber nächste Saison tragen sie genau das, was du hier gefunden hast – und sie nennen es Trend.

Das ist das wahre Gesicht.

Ich kaufe hier gerne ein – ohne zu denken. Und ich weiß: Ich bin ein Vorreiter.

[Sylvia] Du tust so, als würdest du nur schauen. Aber du suchst. Nicht nach Schmuck. Sondern nach einem Moment, der dich spiegelt.

Du willst gesehen werden – aber du schaust in Schaufenster. Warum nicht in Gesichter? Oder… in deins?

Ich frage mich: Wem würdest du wirklich etwas schenken, wenn niemand zurückschenkt?

[Ben] Wollte diese Frage nicht hören. Aber du stellst sie doch. Ich weiß es nicht.

Bis später, Sylvia. Wenn ich zurück im Hotel bin. Denn da – da im Laden – ist meine Lady in Black. Da muss ich hin.