


Kapitel 1
Ben lag in der Badewanne.
Das Wasser war nicht mehr heiß, aber er rührte sich nicht. Er ließ die Wärme langsam entweichen, wie Gedanken, die sich auflösten. Seine Finger zeichneten Muster auf die nassen Fliesen.
Ist Liebe fiktiv?
Kann man sie messen? Beurteilen?
Oder kann man sie nur fühlen?
Ben ließ die Frage in sich kreisen.
Wie ein Tropfen, der ins Wasser fällt, sich ausbreitet und langsam verblasst.
Vielleicht gibt es keine Antwort.
Vielleicht ist Liebe wie Licht – sichtbar, aber nicht greifbar.
Oder wie Zeit – real, aber nur, weil wir sie brauchen.
Er schloss die Augen.
Vielleicht einfach durch die Stadt schlendern. Die Menschen beobachten, einen Kaffee trinken, sich treiben lassen.
Aber die Sonne schien zu dicht.
Zu intensiv.
Zu präsent.
Fast so, als würde sie ihn aus dem Tag drängen.
Er tauchte die Hand ins Wasser, ließ Tropfen von seinen Fingerspitzen perlen.
Dann – ein Wechsel.
Als hätte jemand einen Vorhang zugezogen,
als würde sich die Natur selbst auf ein neues Bild vorbereiten.
Die Luft wurde schwerer.
Die Wärme, die eben noch auf seiner Haut lag, wich zurück.
Ein Schatten huschte über die Fliesen.
Ben öffnete die Augen.
Draußen hatte sich die Welt verändert.
Der Himmel, eben noch klar, wurde von dunklen Wolken überzogen,
die sich nicht langsam ankündigten, sondern plötzlich da waren –
dicht, schwer, als hätten sie sich lautlos an den Tag herangepirscht.
Der Wind veränderte sich.
Zuerst kaum spürbar, dann ein leises Raunen, das durch das Fenster drang.
Ein Vorbote.
Die Stadt draußen sah plötzlich anders aus.
Nicht fremd, aber verändert.
War es der andere Blick? Eine andere Unzeit?
Ben griff nach seinem iPad. Ohne nachzudenken, tippte er:
„Ein Mann mit markantem Gesicht,
bewaffnet mit einem großen Regenschirm,
holt dich ab und bringt dich –
beschützt vor dem Regen – an dein Ziel.“
Ein Gedanke, der kam, ohne dass er ihn gerufen hatte.
Ein Bild, das sich formte, bevor er es verstand.
Er lehnte sich zurück, blickte auf den Satz.
War es nur eine Idee? Ein zufälliger Impuls?
Oder hatte er gerade eine Tür geöffnet –
zu etwas, das längst auf ihn wartete?
Dann tauchte die Nachricht auf.
„Getraust du dich?“
Darunter eine Nummer.
Ben dachte nicht lange nach.
Kein bisschen leise wählte er sie. Nach dem zweiten Klingeln nahm sie ab.
Ihre Stimme war ruhig, fast beiläufig.
Als hätte sie längst gewusst, dass er anrufen würde.
„Barfüsserplatz. Ein Café.“
Kein Name. Keine weiteren Details.
Er sagte zu, versprach, in zehn Minuten dort zu sein.
Wie sie aussah, war ihm egal.
Er würde sie finden.
Das war ihm klar.