Der Fluss meines Lebens

Tagebucheintrag 12. März 1982

Mae Hong Son, Thailand

Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die halb geöffneten Fenster und tanzten auf den Holzdielen meines kleinen Zimmers. Der Morgen war erfüllt von den Klängen des Dorfes – Vogelgesang, das leise Murmeln der Menschen und das ferne Krähen eines Hahns. Es war ein Tag wie jeder andere in Mae Hong Son, und doch fühlte sich alles anders an.

Malee wartete bereits draußen. Sie lehnte lässig an ihrem Motorrad, ein Lächeln auf den Lippen, das die Morgensonne widerspiegelte. „Guten Morgen, Ben,“ sagte sie und warf mir einen Helm zu. „Heute fahren wir in die Stadt. Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte.“

Ich setzte den Helm auf und grinste. „Ich bin bereit. Zeig mir die Welt.“


Die Fahrt zur Stadt

Die Reifen berührten den staubigen Weg, und das Motorrad begann mit einem sanften Brummen zu rollen. Der Wind trug den Duft von Blumen, Erde und Sonne zu mir, während wir durch das weite Grün der Reisfelder fuhren. Malee lenkte das Motorrad mit einer spielerischen Leichtigkeit, die mich immer wieder staunen ließ.

Ich hielt mich an ihrer Taille fest, doch es war mehr als nur ein physischer Halt. Es war ein Gefühl von Freiheit, von Aufgehobensein. Die Welt um uns herum verschwamm in Farben und Bewegungen, und ich fühlte mich endlich… frei.

„Malee,“ rief ich gegen den Wind. „Das ist unglaublich. Es fühlt sich an, als könnte ich alles tun, alles sein.“

Sie drehte den Kopf leicht zu mir, ihr Lächeln funkelte wie das Licht auf dem Wasser. „Das bist du auch, Ben. Du bist frei. Du warst es immer – du musstest es nur sehen.“


Ein Geständnis im Restaurant

In der Stadt führte sie mich in ein kleines, charmantes Restaurant. Der Duft von Gewürzen lag in der Luft, und die Atmosphäre war erfüllt von einem warmen Summen. Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster, und Malee bestellte mit einer Selbstverständlichkeit, die mich erneut beeindruckte.

„Ich habe Tom Yum Goong bestellt,“ erklärte sie, „eine würzige Suppe mit Garnelen. Dazu Pad Thai und Massaman Curry. Ich glaube, du wirst es mögen.“

Während wir aßen, konnte ich nicht länger schweigen. Ich legte das Besteck beiseite, nahm ihre Hand und sah sie an.

„Malee,“ begann ich, „die letzten Wochen mit dir haben mir etwas gezeigt, das ich verloren glaubte. Du hast etwas in mir geweckt, das ich nicht in Worte fassen kann. Ich…“ Ich hielt inne, sammelte mich. „Ich liebe dich. Und ich möchte, dass du ein Teil meines Lebens bist – wenn du es auch möchtest.“

Sie sah mich an, ihre Augen waren sanft und voller Wärme. „Ben,“ sagte sie leise, „ich habe es gespürt. Auch ich fühle diese Verbindung. Und ja, ich möchte ein Teil deines Lebens sein – und du ein Teil meines.“


Das Kloster und der Mönch

Nach dieser Offenbarung schlug Malee vor, dass wir ein Kloster besuchen. „Es gibt dort einen Mönch, der mir schon oft geholfen hat, meine Gedanken zu ordnen. Vielleicht kann er dir helfen, die Dinge noch klarer zu sehen.“

Das Kloster lag auf einem Hügel, umgeben von hohen Bäumen. Die Luft war erfüllt von einer stillen Andacht. Malee führte mich zu einem kleinen Raum, in dem ein alter Mönch saß. Sein Gesicht war gezeichnet von den Jahren, doch seine Augen strahlten eine Tiefe aus, die mich sofort ergriff.

„Willkommen,“ sagte er mit ruhiger Stimme. „Setz dich, mein Sohn. Was führt dich hierher?“

Ich begann zu sprechen, erzählte von meiner Vergangenheit, von meinen Ängsten und Zweifeln. Ich sprach von Malee und der Verbindung, die ich mit ihr fühlte, und von der Unsicherheit, ob ich all dem gewachsen war.

Der Mönch hörte aufmerksam zu, nickte gelegentlich. Schließlich sprach er.


Die Weisheiten des Mönchs

„Das Leben,“ begann er, „ist wie ein Fluss. Manchmal treibt man mit dem Strom, manchmal dagegen. Doch der Fluss selbst kennt immer seinen Weg. Du musst lernen, ihm zu vertrauen.“

Er hielt inne, seine Augen suchten meinen Blick. „Du hast eine Last getragen, die nicht deine ist – die Erwartungen anderer, die Furcht, nicht genug zu sein. Aber du bist genug, mein Sohn. Du warst es immer.“

Seine Worte trafen mich tief. „Was soll ich tun?“ fragte ich leise.

Der Mönch lächelte. „Hör auf, zu kämpfen. Lass den Fluss fließen. Nimm an, was das Leben dir gibt, und gib zurück, was du nicht mehr brauchst. Liebe, ohne Angst zu haben. Lebe, ohne dich zu verstecken. Und sei dankbar für jeden Moment, der dir geschenkt wird.“


Ein neuer Anfang

Als wir das Kloster verließen, fühlte ich mich anders. Leichter. Freier. Malee ging neben mir, ihre Hand in meiner.

„Danke, dass du mich hierher gebracht hast,“ sagte ich.

„Danke, dass du zugelassen hast, zu fühlen,“ antwortete sie.

Die Rückfahrt zum Dorf war wie eine Reise zu mir selbst. Der Wind, die Wärme der Sonne, Malees Nähe – es war, als hätte ich den Fluss meines Lebens wiedergefunden. Und ich wusste: Mit Malee an meiner Seite würde ich den Weg, der vor mir lag, mutig und voller Hoffnung gehen.


Schlussgedanke

Der Fluss des Lebens kennt seinen Weg. Manchmal müssen wir nur lernen, uns treiben zu lassen, um den Frieden zu finden, der schon immer in uns war.

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