Thailand – und mein Kopf atmet, die Zeit nach Joanna

Ein Spiegel, der nicht mehr lügt

Der Morgen – oder das, was man hier Morgen nennt – schleicht durch die Vorhänge, ein schmutziges Grau, das kaum unterscheidbar ist von der Nacht davor.

Ben liegt auf dem Bett, die Laken zerknittert, schmutzig. Der Geruch von abgestandenem Rauch, Schweiß und billigem Whisky hängt in der Luft. In der Ecke stehen die leeren Flaschen, stumpf und bedeutungslos.

Er sollte aufstehen. Oder duschen. Oder wenigstens ans Fenster treten und so tun, als würde er den Tag begrüßen.

Er tut nichts.

Der Spiegel gegenüber reflektiert ein Bild, das er nicht sehen will. Sein eigenes Gesicht, gezeichnet von Schlafmangel, von zu vielen Gedanken, von dieser endlosen Stadt, die ihn hält wie ein Netz, aus dem er sich nicht befreien kann.

Er starrt sein Spiegelbild an. Es starrt zurück.

Unverändert.

Oder doch?

Etwas in ihm bricht. Ein leiser Riss, kaum hörbar, aber tief genug, um das Gleichgewicht zu erschüttern.

Und dann – knallend, splitternd, zerstörend – fliegt das Glas in Scherben.

War es seine Faust? Eine Flasche? Ein verdammter Zufall?

Scheiß drauf.

Sein Spiegelbild ist verschwunden. Es gibt nichts mehr, in das er sich zurückziehen kann.

Ben schließt die Augen. Atmet. Lauscht.

Bangkok summt weiter, gleichgültig, unaufhaltsam.

Vielleicht ist es Zeit, sich wieder in diese Stadt zu werfen. Nicht, weil er es will, sondern weil es das Einzige ist, was er tun kann.

Er wird nach Whisky suchen. Nach Antworten. Nach etwas, das ihm beweist, dass er noch lebt.

Das Leben ruft. Nicht mit Worten, nicht mit Versprechen.

Es ruft mit dem Dröhnen eines Motorrads unten auf der Straße.

Mit der Hitze, die durch das offene Fenster kriecht.

Mit dem Wissen, dass er sich bewegen muss – bevor er in diesen vier Wänden erstickt.

Ben steht auf. Barfuß über Glassplitter. Er spürt den Schmerz kaum.

Zeit, das Leben zu finden. Oder sich wenigstens darin zu verlieren.

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