



„Eine Nacht, die alles veränderte“
„Bangkok auf der Zunge“
Die Musik floss durch die Nacht.
Kein austauschbarer Klangteppich für Touristen, sondern echter Jazz, lebendiger Hip-Hop, eine perfekte Illusion einer funktionierenden Welt.
Ben und Joanna saßen an der Bar. Der Club war voller Menschen, die lachten, tranken, sprachen, als ob nichts außerhalb dieser Mauern existierte.
„Bangkok wartet auf niemanden,“ sagte Ben und drehte sein Glas in der Hand.
Joanna nahm einen Schluck von ihrem Drink, das Eis klirrte gegen das Glas.
„Vielleicht wartet es auch nicht auf uns.“
Sie prosteten sich zu.
Ein Schluck, ein Blick, ein Spiel, das keiner aussprach.
Es lag etwas in der Luft, das sich aufgeladen hatte, seit sie sich das erste Mal begegnet waren.
Nicht Liebe. Nicht nur Begehren.
Etwas anderes. Etwas, das sie beide noch nicht ganz verstanden.
Als die Musik verklang und die Nacht sich in die frühen Morgenstunden zog, nahmen sie ein Taxi zurück zum Hotel.
„Die Nacht, die anders hätte enden können“
Die Tür fiel ins Schloss.
Stille.
Nur das Summen der Klimaanlage, das entfernte Hupen auf Bangkoks Straßen – und ihr Atem.
Sie schauten sich an.
Es hätte anders ausgehen können.
Es hätte die Nacht sein können, in der sie sich verloren.
Oder die Nacht, in der sie sich wirklich fanden.
Aber Ben war nicht der Mann, der blieb.
Nicht, weil er nicht konnte – sondern weil er nicht wusste, ob er es durfte.
Er trat einen Schritt näher.
Joanna wich nicht zurück.
„Wenn ich dich küsse…“ begann er.
Sie unterbrach ihn nicht.
Er seufzte leise, ein kurzes, bitteres Lächeln.
„…findest du mich dann später wieder?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, Ben.“
Er nickte. „Ich auch nicht.“
Doch dann fiel jede Distanz.
„Das Paradies einer einzigen Nacht“
Als Ben sie berührte, tat er es als Mann.
Nicht als jemand, der kam und ging, nicht als Schatten, der verschwand, bevor er greifbar wurde.
Sondern als jemand, der da war. Jetzt. Hier.
Joanna war eine Frau, die jeden Mann verrückt machen konnte – wenn sie es wollte.
Aber diesmal war es anders. Diesmal wollte sie nicht beherrschen, nicht spielen.
Diesmal ließ sie sich fallen.
Seine Hände fanden ihren Weg, entdeckten sie, als würde er sie das erste Mal berühren – und vielleicht war es das auch.
Nicht nur Haut auf Haut.
Sondern Gewissheit. Ein Moment ohne Vergangenheit, ohne Zukunft.
Sie versanken ineinander, ließen alles los, was zwischen ihnen gestanden hatte.
Dieses Paradies hielt an.
Es war kein flüchtiger Moment, kein impulsives Spiel, sondern eine Welt, die nur ihnen gehörte.
Jede Berührung trug sie tiefer hinein, ließ sie vergessen, wer sie waren, wo sie waren.
Nur Haut, Atem, Hitze.
Bis es explodierte.
Bis jede Anspannung wich, bis alles, was sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, in diesem einen Moment verpuffte – und nur noch Zufriedenheit blieb.
Ben hielt Joanna im Arm, spürte ihr Herz gegen seine Brust schlagen.
Niemand sprach. Es gab nichts mehr zu sagen.
Glücklich, schwerelos, versanken sie im Schlaf.
Nicht mit einem Versprechen.
Nicht mit einer Zukunft.
Aber mit dem Gefühl, dass diese Nacht immer ihnen gehören würde.
„Das Erwachen in der Realität“
Der Morgen war anders.
Nicht kühl, nicht distanziert – aber klar.
Joanna saß am Fenster, nippte an ihrem Kaffee, während Ben sich anzog.
Sie beobachtete die Stadt, als würde sie nach etwas suchen.
Oder nach jemandem.
„Bleibst du?“ fragte Ben, ohne sie direkt anzusehen.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich kann nicht.“
Er wusste es.
Es war nie eine Frage der Entscheidung gewesen.
Nur eine Frage der Zeit.
Sie tranken ihren Kaffee schweigend zu Ende, verließen das Hotel, setzten sich in ihr gewohntes Pariser Café.
Croissant. Ein Löffel, der gegen den Rand einer Tasse schlug.
Und dann öffnete sich die Tür.
Archibald Fortescue trat ein.
Und mit ihm endete das, was immer nur ein Moment hätte sein können.
Ben beobachtete ihn. Ich hätte ihm den Eintritt verwehren können, wenn wir uns nicht auf freiem Boden befunden hätten.
Aber hier?
Hier war alles offen.
Fortescue setzte sich ohne Einladung an ihren Tisch. Sein Blick galt nur Joanna.
„Guten Morgen, Joanna.“
Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme.
„Direkt zur Sache, Archibald. Warum bist du hier?“
Ein abgemessenes Lächeln, das Lächeln eines Mannes, der mehr wusste, als er sagte.
„Weil es an der Zeit ist.“
Ben und Joanna wechselten einen kurzen Blick. Die Zeit? Wofür?
Fortescue ließ sich Zeit, zog eine silberne Zigarettenschachtel aus der Tasche, öffnete sie, bot Joanna eine an.
Sie ignorierte ihn.
„St. Ivel International.“
Joannas Finger erstarrten für einen Moment an ihrer Tasse.
„Ein Wettbewerb, der den Eiskunstlauf in Großbritannien bekannt machte. 1980 fand er wieder statt. England lud DDR-Sportler ein. Und einer von ihnen verschwand.“
Ein leises Klirren – Joanna hatte ihren Löffel gegen den Rand ihrer Tasse geschlagen.
„Er suchte Asyl“, fuhr Fortescue fort, „aber er blieb eine Nacht verschwunden. Danach war nichts mehr, wie es war.“
Er lehnte sich zurück.
„Luca Frostberg. Dein Vater.“
Jetzt erst blinzelte Joanna.
„Mittlerweile wissen wir… er ist dein Vater.“
Das Café um sie herum existierte plötzlich nicht mehr.
„Ob er noch lebt oder nicht, entzieht sich unseren Kenntnissen.“
Ben beobachtete Joanna. Ihr Gesicht war eine Maske – keine Emotion, kein Zucken.
Aber er wusste, dass es in ihr arbeitete.
„Dazu müsste man den Geheimdienst fragen.“
Stille.
Dann setzte Joanna langsam ihre Tasse ab.
„Und warum erzählst du mir das jetzt?“
Fortescue lehnte sich vor.
„Weil du eine Wahl hast. Du kannst in diesen Jet steigen und nach England fliegen. Oder du bleibst und stellst die Fragen, auf die du vielleicht nicht vorbereitet bist.“
Er nahm erneut einen Schluck Kaffee, als hätte er gerade über das Wetter gesprochen.
„Was wirst du tun, Joanna?“
„Die Entscheidung“
Ben sagte nichts. Es war nicht seine Wahl.
Joanna atmete tief durch. So viele Jahre, so viele Fragen.
Sie sah Fortescue an.
„Wenn ich gehe… bedeutet das, dass ich die Wahrheit erfahre?“
Er zog eine Augenbraue hoch.
„Es bedeutet, dass du nah genug kommst, um zu verstehen.“
Sie nickte langsam.
Ben wusste, was das bedeutete.
Die Entscheidung war gefallen.
Draußen vor dem Café wartete ein schwarzer Rover. Der Motor lief bereits.
Ein Fahrer stand bereit. Ein Kofferraum war offen.
Ihr Koffer war schon darin.
Fortescue legte ein Bündel Papiere auf den Tisch.
„Dein Flug geht in zwei Stunden.“
Joanna sah Ben an.
Kein Wort fiel. Keine Erklärung.
Sie stand auf, nahm ihre Tasche, zögerte einen Moment – dann beugte sie sich zu ihm, ihre Lippen streiften kurz seine Wange.
Dann trat sie hinaus auf die Straße, in die Sonne Bangkoks, auf den Asphalt einer Stadt, die niemals wartete.
Ben sah zu, wie sie einstieg, wie die Tür ins Schloss fiel.
Der Rover setzte sich in Bewegung, wurde kleiner, verschwand schließlich im Verkehr.
Er blieb zurück.
Allein.
Bangkok vibrierte weiter, als wäre nichts passiert.