ZuHause im Kino

Sie liegt in meinem Arm. Was Schöneres gibt es nicht.

Sie schaut mich von der Seite an. Ich sehe es nicht – aber ich weiß, dass es passiert.

Frauen sind von Natur aus neugierig. Das weiß ich. Und manchmal ist genau das für uns Männer gefährlich.

Denn dann müssen wir abliefern.

Magst du das auch?

Sie möchte etwas erleben.

Ich möchte schlafen. Mit ihr. Auch mit ihr. Und auch einfach so.

Nicht, weil mir etwas fehlt – sondern weil es sich gerade richtig anfühlt.

„Was willst du?“, frage ich sie leise.

Sie dreht sich ein Stück zu mir.

„Magst du Kino?“

Sie nickt kaum merklich.

„Ich hab dir was vorbereitet“, sage ich. „Nenn mir einen Titel – und wir sehen uns den Film an.“

„Ziemlich beste Freunde“, sagt sie. „Die französische Fassung. Der mit dem Tetraplegiker und seinem Freund.“

Ich nicke. „Dann kleiden wir uns an. Du für mich. Ich für dich.“

Keine Verkleidung. Nur diese leise Absicht, dem Moment gerecht zu werden.

Sie steht auf, zieht sich langsam an. Nicht, um Eindruck zu machen – sondern um gesehen zu werden. Ich tue es ihr gleich. Nicht schneller, nicht auffälliger. Einfach da.

Dann gehen wir ein paar Schritte. Kein roter Teppich, kein Lärm. Nur zwei Menschen, die Lust haben, etwas zu teilen.

Am kleinen Kiosk kaufen wir Popcorn. Süß. Eine Cola dazu. Welche Marke? Egal. Hauptsache kalt. Hauptsache jetzt.

Dann betreten wir den Saal.

Er ist nicht groß, aber er gehört uns.

Wir suchen uns einen Platz. Nebeneinander. Eng genug, dass sich unsere Arme berühren. Weit genug, dass alles atmen kann.

Der Film beginnt.

Er berührt uns. Nicht mit Pathos, sondern mit diesem leisen Gefühl, dass etwas Echtes erzählt wird.

Wir lachen. Nicht laut – aber gemeinsam.

Sie trägt Kopfhörer, der Film läuft auf Deutsch. So klingt er für sie am vertrautesten.

Ich höre ihn auf Französisch. Meistens jedenfalls. Nicht alles kommt bei mir an – noch nicht. Aber das ist Übungssache. Und vielleicht muss nicht alles übersetzt werden, um echt zu sein.

Wichtig ist: Er bleibt authentisch. Für sie. Für mich. Für uns.

Ich weiß, wir sind in einer Enklave.

Vieles hier sieht aus wie Wirklichkeit – aber es ist nicht ganz real. Noch nicht.

Das wird sich ändern. Später. Wenn wir das Ziel ansteuern.

Jetzt… lernen wir uns kennen.

Sie lernt mich kennen. Wie ich funktioniere. Ohne Maske, ohne Fassade.

Und ich sehe: Sie kennt sich selbst kaum.

Man hat ihr gesagt, wie sie zu funktionieren hat. Wie sie sein soll, um zu genügen.

Aber etwas – etwas kannte sie bisher nicht. Etwas, das nicht geplant, nicht kontrolliert, nicht benannt werden kann.

Ich werde es ihr nicht erklären. Ich werde es ihr zeigen.

Wer sie wirklich ist.

Wer hat Recht?

Ich denke: Wer denkt, hat Recht.

Die anderen… sie folgen. Meist zu Unrecht.

Aber was ist überhaupt Recht?

Ein System? Eine Ordnung? Vielleicht. Aber das, worauf es wirklich ankommt, ist, ob es für dich stimmt. Ob du dich darin erkennst.

Sie fängt an, zu denken. Und damit ist sie auf dem Weg. Nicht zu mir – sondern zu sich selbst.

Ich mag sie, wie sie ist.

Nicht weil sie perfekt ist. Nicht weil sie alles versteht.

Sondern weil sie echt ist.

Sie muss sich nicht verbiegen – sie muss sich nur noch entwickeln.

Nicht für mich. Für sich.

Und das, was sie denkt – das ist bereits sie.

Nicht nur das, was sie sagt. Sondern das, was in ihr auftaucht, wenn niemand mehr sagt, was sie tun soll.

Der Abspann lief noch. Doch wir standen schon auf. Kein Bedürfnis nach letzten Worten, kein Applaus.

Wir ließen das Popcorn stehen, die Cola halb voll. Draußen empfing uns die Nacht – weich, still, leicht kühl.

Keine Freunde, kein Ziel, keine andere Richtung. Wir gingen einfach los.

Die Straße war nass vom späten Sprühregen, Laternen spiegelten sich im Asphalt.

„Guter Film“, sagte ich.

„Ja“, antwortete sie. Dann lange nichts. Nur Schritte.

„Wenn ich so bei dir wohnen würde… wie Driss bei Philippe“, sagte sie plötzlich. „Glaubst du, das würde funktionieren?“

Ich blieb stehen. Sah sie an. „Du meinst, ob ich dich aushalten würde?“

Sie nickte.

Ich lächelte. „Die Frage ist nicht, ob ich dich aushalten kann. Die Frage ist, ob du dich zeigen willst.“

Ich sah sie an. Und in dem Moment wusste ich: Diese Frage – das war keine Spielerei. Keine Probe. Keine Unsicherheit.

Es war der erste echte Gedanke, den sie sich selbst erlaubt hat.

Nicht, weil sie gefallen wollte. Sondern weil sie spürte, dass da etwas in ihr wächst. Etwas, das hierzulande nicht erwünscht ist.

Eigenständigkeit. Tiefe. Gefühl, das nicht in Regeln passt.

Und das ist die Wahrheit.

Nicht meine. Ihre.

Ich will, dass sie denkt. Nicht, weil ich Recht haben will. Sondern weil Denken der erste Schritt ist, sich zu erinnern, wer man eigentlich ist.