nur mal bilder

„Ich heiße Ben. Und was ich bin, ändert sich je nachdem, wen du fragst. Manche sagen, ich sei jemand, der zu viel denkt. Andere, ich sei jemand, der einfach macht. Vielleicht bin ich beides. Vielleicht bin ich einfach da.

Ich rede nicht viel über Wahrheit. Nicht, weil sie mir egal ist. Im Gegenteil. Ich glaube nur, dass Wahrheit nicht in Worten wohnt. Sondern in dem, was zwischen uns passiert, wenn niemand etwas beweisen will.

Ich bin keiner, der Menschen führt. Aber manchmal geh ich los – und jemand geht mit. Dann entsteht was. Kein Ziel, kein Plan. Nur ein gemeinsamer Moment.

Ich hab noch viel zu erleben. Und ich will auch nicht alles verstehen. Ich will fühlen, wann es stimmt. Und weitergehen, wenn es nicht mehr stimmt.

Was ich weiß? Nicht viel. Nur: Wenn du dir etwas wünschst, und dabei jemandem einen Raum gibst – einen echten Raum – dann kann was wachsen. Und manchmal… ist genau das die Wahrheit.“

Kapitel 1: Die Seite ohne Uhrzeit

Isabella hatte Ben gebeten, ihr zu helfen. Sie wollte etwas über Wahrheit erfahren – nicht aus Büchern, nicht von einem Podium. Keine Lehrfilme, keine Theorie. Etwas Echtes.

Sie hatte nicht erwartet, dass er sie aufs Velo packt, mit ihr durch die Hügel fährt, sie zu einer Grotte bringt, wo das Licht fällt wie in einer Zwischenwelt. Jetzt steht sie da, den Helm in der Hand, das Velo im Gras. Der Ort wirkt unwirklich. Fels, Wasser, ein altes Dampfschiff – wie ein Traum, den man fast vergessen hätte.

Und Ben ist mittendrin. Ganz da. Kein Zögern, kein Erklären. Für ihn ist das alles keine Kulisse. Für ihn ist das Wahrheit.

„Zieh den Bademantel an“, sagt er leise. „Setz dich.“  
Die Flamme unter dem Wok springt an, als hätte sie jemand heimlich entfacht. Er gießt ihr ein Glas Weißwein ein, stellt Teller auf den Tisch, kippt Gemüse und Gewürze in den heißen Wok und rührt darin, ruhig, konzentriert.

Dann, ohne aufzublicken:  
„Ich frage dich nicht, was du denkst, Isabella. Wenn du Fragen hast – stell sie. Soweit ich sie beantworten kann, tu ich’s.“

Sie setzt sich. Noch zögert sie, aber etwas in ihr beginnt sich zu bewegen. Vielleicht zum ersten Mal.

Ich schöpfte mir auch etwas auf den Teller. Das Essen – leicht wie aufsteigender Dampf, asiatisch gewürzt – duftete warm und klar.  
Wir aßen langsam. Es schmeckte uns beiden. Kein großes Lob, kein übertriebenes Mmmh, nur dieses stille Einverständnis, wenn etwas einfach passt.

Zwischen den Bissen war Platz. Für Worte, aber auch für Stille.

Wir saßen auf den Stühlen, ein wenig müde vom Velofahren, vom Essen, vom Tag. Diese angenehme Trägheit, wenn der Körper nachklingt und der Kopf still wird.  
Ich sah sie an, nicht lang, nicht fordernd. 
„Wenn du magst“, sagte ich leise, „wünsch dir was.“

Sie schwieg einen Moment, schaute in ihr Glas, dann zu mir.  
„Es ist keine große Sache“, sagte sie schließlich. „Aber wenn ich drauf warte… sind fünf Sekunden eine Ewigkeit.“  
Sie atmete ein, sah mich an, ganz direkt. 
„Ich wünsch mir was. Sei mir bitte nicht böse. Einen Kuss von dir.“

Er stand auf, ohne Eile. Trat zu ihr, legte die Hand auf ihre Schulter – und zog sie sanft hoch.  
Dann nahm er sie in den Arm und küsste sie – ganz einfach.  

Als wäre es schon immer so gewesen.

Keine Wildheit, kein Drängen. Nur Zärtlichkeit. Er wollte sie nicht erschrecken. Nur zeigen, dass ihr Wunsch sicher war bei ihm. Und dass seiner vielleicht derselbe war, schon lange.

Ich sah sie an. Und was ich sah, war wie ein Schleier aus Schönheit. Vielleicht auch Verliebtheit. Vielleicht ein Test – aber keiner, der mit Reichtum zu tun hatte.  

Ich bin kein Mensch, der gern allein ist. Ich mag das Gefühl, wenn etwas echt ist. Und genau das – das ist es, was ich mag. 

„Weißt du“, sagte ich, „ich hab ein Bankkonto. Da liegt ein bisschen Geld drauf. Aber was ist Geld?“  
Ich zuckte mit den Schultern, stellte ihr die nächste Gabel hin.  
„Wenn du dir was wünschst, dann arbeitest du hart dafür. Klar. Aber manchmal – manchmal reicht der Wunsch. Wenn um dich herum Menschen sind, denen du Möglichkeiten gibst… dann wächst was. Und plötzlich ist das Geld da.“

Ich schaute sie wieder an. Nicht, weil ich eine Antwort wollte. Sondern weil ich sah, dass sie zuhörte.

Der Raum veränderte sich. Aus dem Tag wich langsam das Licht, die Nacht kroch leise hinein.  

Ich sah Isabella an. Es war still genug, dass selbst der See wie eine Antwort wirkte.  
„Wir haben zwei Möglichkeiten“, sagte ich. „Mit dem Ruderboot – oder wir schwimmen. Nackt.“  

Ein kleines Lächeln zog über mein Gesicht. Keine Provokation. Nur Ehrlichkeit.  
„Unsere Sachen sind hier sicher. Gut aufgehoben. Auf der anderen Seite liegen Bademäntel bereit.“  

Ich machte eine kurze Pause, ließ den Moment atmen.  
„Und dann – verschwinden wir in unsere Räume. Was wir dann machen… das bleibt allein dir. Und mir.“

Sie zog sich aus. Keine Show. Kein Zögern. Nur dieser klare Moment: Das ist doch selbstverständlich, so wie wir sind. 
Auch ich zog mich aus. Still, ohne Worte. Dann sprangen wir beide ins Wasser.  

Das Dunkel des Sees nahm uns auf, kühl und weich.  
Ich sah ihre Weiblichkeit – nicht wie etwas Fremdes oder Unerreichbares, sondern wie etwas Echtes. Und in mir stieg ein Gefühl auf, das ich selten kannte: Stolz. Nicht auf Besitz, nicht auf Eroberung – auf Nähe. Auf Vertrauen. Auf dieses einfache: Ja.

Wir schwammen schweigend auf die andere Seite des Sees.  
Das Ufer veränderte sich, je näher wir kamen. Nicht dramatisch – aber wie von Zauberhand.  

Eine kleine Bahn stand bereit. Offene Waggons, leise Lichtquellen darin. In einem lagen zwei Bademäntel, sauber gefaltet. 

Wir zogen sie an – das Wasser tropfte noch von unseren Körpern, aber die Mäntel wärmten sofort.  
Dann setzten wir uns in die kleine Bimmelbahn. Sie setzte sich fast lautlos in Bewegung und fuhr mit uns durch einen alten Stollen – tief hinein in den Berg.  

Auf die andere Seite.

Wir gingen in das Appartement, das nur in diesem Augenblick für uns offen stand. Kein Vorher, kein Später – nur Jetzt. 

Isabella stürzte sich lachend ins Zimmer, warf sich aufs Bett. Dann drehte sie sich zu mir.  
„Ben… komm zu mir. Ich möchte träumen.“  

Ich ließ mich neben ihr aufs Bett fallen. 
„Was möchtest du sehen? Paris bei Tag oder bei Nacht?“  

„Paris bei Tag“, sagte sie sofort. „Im Turmzimmer des Eiffelturmgründers.“  

„Ruf es“, sagte ich. Und sie tat es.  

Die Illusionen wurden klar, greifbar. Neben dem Bett öffnete sich der Raum. Dort, wo eben noch Wand war, fiel der Blick plötzlich 300 Meter tief – direkt hinunter zu den Füßen des Eiffelturms.  

Draußen, vor den Fenstern, tat sich Paris auf. Paris bei Tag. Licht, das an den Kanten der Stadt glitzerte. Dächer in allen Schattierungen von Grau, Blau und Braun. Menschen wie kleine Punkte.  

Und wir – oben, ganz oben. In einem Turmzimmer, das es so nicht gibt. Aber jetzt war es da. Für uns.

„Isabella… was passiert hier?“ flüsterte sie. „Was ist das?“  

„Es bringt mich zum Erschrecken. Ich will flüchten… in deine Arme.“  

„Nichts leichter als das“, sagte ich – und nahm sie in den Arm.  

In dem Moment bewegte sich alles. Und nichts. 

Der Raum vibrierte, ohne zu wackeln. Das Licht veränderte sich.  
Es war, als hätte jemand die Welt leicht verschoben. Nicht zerstört – nur neu geordnet.  

Wir waren mittendrin. In einem Sturm ohne Regen. Ohne Wind. Und doch war alles in Bewegung.  

Sie lag in meinem Arm. Genau da, wo sie sein wollte.  

Der Sturm klang ab, nicht plötzlich, sondern wie eine Welle, die sich zurückzieht.  
Und der Raum veränderte sich mit uns.  

Er wurde warm. Still. Echt.  

Keine Illusion. Keine Flucht. Nur Atmosphäre. 
Ein Gefühl, das bleibt – ohne sich festzuhalten.

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