







Kapitel: Ben der Schweizer
Liz nahm sich eine Tasse.
Frischer Kaffee, dampfend.
Sie sah mich an.
„Komm, erzähl es mir.
Ich seh’s dir an.“
Und vielleicht musste das jetzt raus.
Was schon seit Jahrzehnten in mir geschlummert hatte.
Ich erzählte ihr von der Heuwaage.
Dem Platz vor dem Zoo.
Wo sich früher die Teddys und die Lederjacken gegenüberstanden.
Jeder auf seiner Seite.
Wie im Film *Grease* mit John Travolta.
Es war keine Bühne,
aber es hatte Dramaturgie.
Keine Musik,
und doch war alles Rhythmus.
Vielleicht war es Protest.
Vielleicht war es Suche.
Oder einfach nur das Bedürfnis,
gesehen zu werden,
ohne sich zu erklären.
Und zwischendurch wagte sich einer auf die andere Seite.
Zum Anmachen. Zum Schauen.
Wer sich was getraute.
Unter dem Applaus der Girls
war man ein Held.
Liz grinste.
„Du warst sicher bei den Lederjacken.
Eine Teddyjacke steht dir nicht.“
„Und? Hast du zugeschlagen?“
Ich sah sie an.
„Nein. Habe ich nicht.
Ein Held zu sein,
heißt nicht zuzuschlagen.“
Ich hielt kurz inne.
„Ein Nein –
dazu musst du
schon ein Held sein.“
Warum geschah es dort?
Ich denke, aus zwei Gründen.
Dort stand einst die erste Stadtmauer von Basel.
Ein Ort, der Grenze war.
Schutz. Trennung. Herausforderung.
Und gleich daneben –
die Kinostraße.
In Augennähe.
Die Bilder, die Träume, die Musik.
John Travolta, Lederjacken, Popcorn und erste Küsse.
Die perfekte Kulisse für eine Bühne,
auf der man sein wollte,
bevor man wusste, wer man war.
Liz blickte mich an.
Sie wartete einen Moment.
Dann kam die Frage, ruhig, ohne Druck.
„Wie geht es weiter –
mit dem Zoo?
Und den Gorillas?
Was ist dort…
deine Geschichte?“
Ich wusste, worauf sie hinauswollte.
Und diesmal wich ich nicht aus.
„Es geht darum, was ich sagen will.
Nicht, was andere hören wollen.“
Ich trank einen Schluck.
Langsam.
Dann sah ich sie an.
„Ich habe den Zoo beraten.
Lange, intensiv.
Es war offiziell.
Knallhartes Business.
Aber eins von der Sorte,
bei dem du nur bestehen kannst,
wenn du vollen Einsatz bringst.
Wenn alles drinliegt.
Realität –
und der Traum,
dass man etwas verändert.“
Ich hielt kurz inne.
„Und dann hatte ich dieses Erlebnis.
Im Affenhaus.
Nicht laut.
Nicht dramatisch.
Aber so klar,
dass es mein Leben geprägt hat.“
Es hatte mit Goma zu tun.
Der berühmten Gorilladame.
Sie war besonders.
Nicht nur, weil sie die erste war.
Sondern weil sie wusste, dass wir sie beobachten.
Und trotzdem sie selbst blieb.
Und mit dem Herdenführer.
Ein massiver Kerl.
Klar in seiner Rolle.
Klar in seiner Sprache –
auch ohne Worte.
An dem Tag war etwas anders.
Etwas in der Luft.
Ich stand da,
und er kam näher.
Nicht aggressiv.
Nicht bedrohlich.
Ein Blick.
Ein Moment.
Und ich wusste:
Das hier ist keine Show.
Das ist echt.
Das ist – Wahrheit.
Unverstellt.
Unverhandelbar.
Er wollte seine Weibchen beschützen.
Ganz einfach. Ganz instinktiv.
Und an diesem Tag war da jemand –
der dasselbe wollte.
Ich.
Damals war es Lara.
Sein Weibchen.
Und er wusste nicht, wer ich war.
Wir beide standen da.
Er vor ihr. Ich vor ihr.
Zwischen uns: nur Blickkontakt.
Und das Wissen, dass Stärke nicht laut sein muss.
Hinten standen die Pfleger.
Still. Beobachtend.
Sie sagten nichts.
Denn sie sahen,
dass hier etwas passierte,
das größer war als Worte.
Ich stand da wie ein Männchen.
Nicht im Spiel. Nicht im Protest.
Einfach als Teil der Situation.
Seitdem sind wir Freunde.
So wie es die Natur sich ausgedacht hat.
Ohne Vertrag.
Ohne Sprache.
Nur mit Haltung.
„Buh“, sagte Liz leise.
Nicht erschrocken.
Eher überrascht.
Dann kam der Satz –
fast nebenbei,
aber er traf.
„Du bist stärker,
als du je gedacht hast.“
Jetzt war Liz mein Weiblein.
Und ich würde sie beschützen.
Nicht mit Gewalt.
Mit Haltung. Mit Gegenwart.
Wir zogen uns an
und verließen das Hotel Trois Rois.
Am Rhein.
Dort, wo früher die Segelschiffe anlegten.
Mit Seide.
Diamanten.
Und Gewürzen aus dem Orient.
Ein Ort mit Spuren.
Ein Ort, der wusste, was Wandel ist.