Komoot das Jahr 2010 mit „Liwayway“.

Kapitel 1 – Der Abend davor

Ich erinnere mich an 2010, als wäre es ein anderes Leben gewesen.

Der Einsatz war nichts Besonderes – jedenfalls nicht in offizieller Hinsicht. Irgendwo zwischen Manila und dem Nirgendwo, ein Termin mit dem Botschafter, in einem kleinen Vier-Sterne-Hotel, das von einem Schweizer geführt wurde. Ich kannte ihn flüchtig. Ein paar Bekannte in der Schweiz, man läuft sich über den Weg, schüttelt Hände, verliert sich wieder. Es war diese Art von Verbindung, bei der niemand nachfragt, wie tief sie wirklich reicht.

Wir saßen beim Abendessen – der Botschafter und ich. Er redete über das, was man eben bespricht, wenn man unterwegs ist: Berichte, Beobachtungen, Aufgaben. Ich nickte, stellte Fragen, aß mein Steak mit Pommes. Nichts Asiatisches an dem Gericht, und doch schmeckte es nach Ort, nach tropischer Luft, nach Hitze, die nicht auf der Haut liegt, sondern in den Gedanken.

Und dann war da sie.

Liwayway.

Ich weiß noch, wie sie an den Tisch trat. Eine junge Frau, mit einer Ruhe, die nicht gespielt war. Da war etwas in der Art, wie sie mich ansah – ein Blick, der durch mich hindurchging und trotzdem blieb. Ich blieb höflich. Ich war Gast, sie war Servicekraft. Das war die Ordnung. Und doch… war da diese Aura.

Ich sagte nichts. Ich machte nichts. Ich war Ben – kontrolliert, professionell.

Später verabschiedete sich der Botschafter. Ich blieb zurück. Bestellte einen Whisky und hörte dem Pianospieler zu, obwohl die Musik mich nie besonders berührt hatte. Doch an diesem Abend lag etwas in der Luft. Eine Spannung, die nicht greifbar war.

Der Botschafter kam nochmal zurück, sah mich an und sagte:
„Du hast sie auch bemerkt, oder?“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Liwayway. Sie studiert Tourismus. Macht hier ein Praktikum. Gute Noten, kluges Mädchen. Sie interessiert sich für die Schweiz.“

Ich nahm einen Schluck und sagte: „Und?“

„Und ich dachte… vielleicht verbringst du morgen einen Tag mit ihr. Zeigst ihr was. Hörst ihr zu. Sie erzählt von ihrem Land, du von deinem. Kein Plan, keine Mission. Nur zwei Menschen, zwei Welten. Vielleicht hilft’s ihr, sich klarer zu werden.“

Ich dachte kurz nach. Vielleicht länger.
Dann nickte ich.

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Ich erwartete sie beim Frühstück – innerlich. Doch es war eine ältere Chinesin, die mir Kaffee einschenkte.

Ich lächelte höflich, aber meine Gedanken waren woanders.

10:30 Uhr. Treffpunkt in der Lobby. Ich duschte, zog mich an, warf einen Blick in den Spiegel. Und ich fragte mich:

Was tust du da eigentlich, Ben?

Ich hätte gelacht, wenn ich nicht so seltsam nervös gewesen wäre. Ich war auf alles vorbereitet – auf Einsätze, Gespräche, Probleme. Aber nicht auf diese einfache, menschliche Begegnung.

Punkt 10:30 Uhr saß ich in der Lobby.

Und da kam sie.

Liwayway.

Mit diesem Blick.

Der Hoteldirektor hatte ihr erlaubt, mich abzuholen. Ein kleines, ungewöhnliches Zugeständnis. Als sie mich sah, lächelte sie – frech, ein wenig verspielt, aber nicht leichtsinnig. Ich stand auf, streckte die Hand aus.

„Bereit?“ fragte ich.

„Ich glaube, ja. Und du?“

Ich wusste keine Antwort. Ich war bereit für etwas, das ich noch nicht kannte.

Und das war der Anfang.

Von allem.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert